Rekonstruktion von Identität und Imagination

Die jüdischen Gemeinden von Königsberg und Memel wurden 1939-1941 ausgelöscht. Während die Memeler Juden vor der Rückgliederung des Memellandes nach Litauen flüchteten und dort das Schicksal der litauischen Juden teilten, wurden die Königsberger Juden – soweit bekannt – nach Theresienstadt, Auschwitz und Minsk deportiert. Nach Kriegsende wurden sowohl das nördliche Ostpreußen mit Königsberg (nun Kaliningrad) wie auch das Memelland mit Memel (nun Klaipeda) wurden in die Sowjetunion eingegliedert und neu besiedelt. Die dort noch lebende Zivilbevölkerung erlitt ein verschiedenes Schicksal. Während die Überlebenden aus dem Kaliningrader Gebiet 1947/48 in die SBZ ausgesiedelt wurden, vertrieb die Verwaltung in Klaipeda die Überreste der dortigen Zivilisten aus der Stadt aufs Land und deportierte sie teilweise nach Sibirien. Seit 1945/46 wurden in beiden Städten

Museum Kaliningrad
Kaliningrader Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst

sowjetische Bürger angesiedelt. Zu den ersten sowjetischen Kadern gehörten demobilisierte Soldaten und Offiziere der Roten Armee. Die Entscheidung für die Niederlassung an diesen Orten fiel bei einem großen Teil in dem Wissen, daß das Zuhause zerstört bzw. die Familie umgekommen sei. Weitere Ansiedlungswellen folgten. Besonders für Hafen und Industrie wurden Arbeits- und Führungskräfte gesucht. Außerdem hatte sich herumgesprochen, daß diese Gegenden deutlich im politischen Windschatten der Stalinschen Machthaber lagen. Auch innerhalb der stark

Kaliningrader Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst

staatlich gelenkten Wanderungsprozesse in der UdSSR lassen sich bestimmte Tendenzen individueller Entscheidungen nachzeichnen. Juden wählten Ende der vierziger /Anfang der fünfziger Jahre bewußt Kaliningrad aus. Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre waren hingegen die Städte im Baltikum ein beliebter Wohnort. Von hier aus ließen sich leichter Auslandskontakte pflegen, hatten Ausreiseanträge etwa höhere Chancen bewilligt zu werden.

Die sowjetischen Migrationsprozesse nach 1945 führten also zur Neuansiedlung von Juden in Klaipeda und Kaliningrad, die sich aus politischen Gründen, jedoch auch durch mangelnde personelle Kontinuität bestimmt, nicht als jüdische Gemeinde formieren konnten.

Zum ersten Mal in der Nachkriegszeit bestand für Juden in Kaliningrad und Klaipeda die Möglichkeit, sich eigenständig zu definieren, als Gruppe zu kommunizieren und Öffentlichkeit zu haben. Diese neu enstandenen Räume waren und sind sozialer, kultureller und kommunikativer Art. Sie sind Produkt und Neuschöpfung aus identifikativen und sozialstrukturellen Elementen von Herkunfts- und Ankunftsregion.(Hierbei sollte noch einmal unterstrichen werden, daß die Juden, die sich hier zu Gemeinden zusammenschlossen, aus vielen verschiedenen Gegenden der UdSSR stammten, vor allem aus Rußland bzw. Weißrußland und ihre Lebenswege sehr unterschiedlich verlaufen waren. Neben Intellektuellen gehören vor allem ehemalige Militärangehörige dazu.) Zu den Faktoren der Herkunftsregion gehören Erinnerung an jüdisches Leben vor dem Krieg, bzw. an Familientraditionen; zu den Elementen der Ankunftsregion zählen u.a. Praktiken der Vereins- und Minderheitenpolitik vor Ort. Zweifellos haben in beiden Städten auch vorher intraethnische Netzwerke, sowohl unter sozialen wie auch professionellen Gesichtspunkten existiert.

Einerseits konfiguriert sich dieser Raum durch die Lebenspraxis vor Ort, andererseits sind die starken jüdischen Netzwerke (US-amerikanische und israelische Stiftungen) konstituierend für die Existenz der Gemeinden.

 

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