2009 Tilsit / Sovetsk (Russische Föderation)  und 2011 Kiel (Deutschland)

Exhibition Poster Jews Tilsit

Lange bevor im 19. Jahrhundert Juden Stadtbürgerrechte in Tilsit erwerben durften, hielten sich jüdische Kaufleute bereits in größeren Gruppen in der Stadt auf, um Handel zu treiben.

Zum einen reisten  sie über die 20 km nördlich gelegene Landesgrenze ein, zum anderen kamen sie mit den zahlreichen Holzflössen auf der Memel von Litauen oder Weißrussland. Die Gemeinde, die sich nach 1812 etablierte, durfte erst 1842 eine Synagoge errichten. Allmählich wuchs die Zahl ihrer Mitglieder bis auf 650 Personen (1910). In  den Jahrzehnten zwischen 1880 und 1910 spielte Tilsit eine wichtige Rolle als Durchgangsstation für die jüdische Auswanderung aus dem Zarenreich nach Übersee. Nach dem Frieden von Versailles wurde die Memel zum Grenzfluss. Die weltoffene kleine Handelsstadt verwandelte sich in eine nationale Grenzstadt. Vor allem die jüdische Jugend verließ in den dreißiger Jahren die Stadt, um ins Ausland zu emigrieren. Ihre Wege führten nach Südafrika, in die Vereinigten Staaten, aber auch nach Shanghai und nach Litauen. Die restlichen Juden wurden im August 1942 deportiert.

Sovetsk Tilsit Opening of Exhibition

Die Ausstellung wurde vom 12. Juli bis 30. August 2009 im Stadtmuseum von Sovetsk gezeigt.
Texte auf Englisch und Russisch: Einführung von der Kuratorin Ruth Leiserowitz.
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2009 Nachfahren früherer jüdischer Bürger bei der Eröffnung der Ausstellung Juden in Tilsit (heute Sovetsk, Russland).

Geschichte der Juden in Tilsit – Ausstellung 2011 in Kiel

Foyer Exhibition Jews in Tilsit

In vielen deutschen Städten gibt es inzwischen Erinnerungen an die Geschichte der Juden in Form von Gedenktafeln und „Stolpersteinen“. Kaum jemand erinnert sich an die Tilsiter Juden. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten die ehemaligen Bewohner an vielen unterschiedlichen Orten, die Einwohner von Sovetsk wussten nichts über die jüdische Geschichte der Stadt.

Jetzt wird erstmals mit aktiver Mitwirkung der Nachkommen der Juden aus dieser Region gezeigt, welche Rolle die Stadt Tilsit in jeder Familiengeschichte gespielt hat. Die Initiative ging vor allem von dem Museum der Stadt Sovetsk aus, das sich eine Ausstellung über das jüdische Leben wünschte. Vielen Dank an die Nachkommen der Familien, die ihre Familienerinnerungen geteilt und Fotos eingereicht haben. Die Ausstellung wurde im Sommer 2009 im Sovetsker Stadtmuseum eröffnet. So kehrten die Juden nach fast 60 Jahren in die Geschichte der Stadt zurück. Mit der Ausstellung in der Partnerstadt Kiel wird diese Geschichte auch in das Land Schleswig-Holstein und nach ganz Deutschland getragen.

Vor dem Zweiten Weltkrieg war Tilsit eine der nordöstlichsten Städte des Deutschen Reiches – nahe dem Memel-Strom, in der Provinz Ostpreußen. Heute heißt diese Stadt Sovetsk und gehört zum Gebiet Kaliningrad der Russischen Föderation.

In Tilsit lebten vor allem Deutsche, darunter auch Litauer und Juden. Die Stadt lebte vom Holzhandel an der Memel. Aufgrund seiner Lage, seiner Größe und der häufigen Messen war es in der Vergangenheit ein beliebtes Ziel von Händlern und Käufern, die von der anderen Seite der Grenze kamen. Unter ihnen waren viele litauische Juden (Litvaks), die Richtung Osten Handel betrieben.

Während das Bild der Juden vor 1812 vor allem von Kaufleuten aus Polen und Litauen geprägt wurde, wurde dieses Profil durch das preußische Toleranzdikt mit der Ankunft der westpreußischen Juden geändert. Um 1820 dominierten Juden aus westpreußischem Gebiet. Im Jahre 1825 wurde ein jüdischer Friedhof gebaut. Noch im selben Jahr kaufte die Gemeinde Land für den Bau einer Synagoge, deren Kauf vom Kabinett genehmigt wurde. Die Petition zum Bau wurde jedoch 1826 von König Friedrich Wilhelm III. abgelehnt, und es dauerte fast zwei Jahrzehnte, bis der Bau der Synagoge 1842 endlich beginnen konnte. Mit Beginn des Krimkrieges 1853 änderte sich die Situation an der preußisch-litauischen Grenze radikal. Mit Ausnahme von Preußen wurde der russische Handel 1853-56 von allen Seiten boykottiert. Nun war die zaristische Regierung gezwungen, das Verbot des Grenzverkehrs nach Preußen aufzuheben. Alle Importe wurden über Land geführt, vor allem über Tilsit. Auf diese Weise kam es zu einer politisch unerwünschten, aber wirtschaftlich erzwungenen Liberalisierung der Grenzregelung. Der Handel ermöglichte hohe Einkommen. Die Jahre gingen in der Lokalgeschichte als „die Goldenen“ ein. Die Liberalisierung des Grenzrechts verringerte die Einschränkungen für die jüdische Bevölkerung. Vor allem Litvaks zogen in die Stadt. Während des gesamten 19. Jahrhunderts wuchs die Zahl der jüdischen Bürger, bis sie 1910 insgesamt 650 Personen (von insgesamt 37.000 Einwohnern) erreichte.

Seit 1885 spielte Tilsit eine wichtige Rolle als Durchgangsstadt für die jüdische Auswanderung aus dem Zarenreich nach Amerika und Südafrika. Tausende von Juden aus Litauen, Lettland und Weißrussland verbrachten mehrere Tage ihrer Reise in der Stadt, wurden medizinisch untersucht, erhielten Lebensmittel sowie ihre Schiffstickets.

Nach dem Frieden von Versailles (1919) wurde die Memel zu einem Grenzfluss. Aus der liberalen kleinen Handelsstadt wurde eine nationale Grenzstadt. Die politischen Standpunkte und Gegensätze wurden stärker. Vor allem die junge jüdische Bevölkerung verließ die Stadt und wanderte in den 1930er Jahren aus. Sie gingen nach Südafrika, in die Vereinigten Staaten, aber auch nach Shanghai und Litauen. Ende August 1941 gab es in Tilsit noch mehr als 300 Juden. Am 24. Juni 1942 wurden sie in das Gebiet bei Minsk deportiert und sofort erschossen: So verschwand die jüdische Seite aus der Stadt.

Prof. Dr. Ruth Leiserowitz

Rathaus Kiel 2011

2011 Rathaus Kiel

Kiel ist die heutige Partnerstadt von Sovetsk/Tilsit und der Unterstützer der Stadtgemeinschaft Tilsit e.V.

Bilder auf Flickr von der Ausstellungseröffnung am 4. August 2011 Link