2007 Seminar in Berlin
Von Breslau über Danzig nach Königsberg
Lebenswelten und Erinnerung von Juden in Schlesien, Ost- und Westpreußen
Ein Seminar des Vereins Juden in Ostpreußen. Verein zur Geschichte und Kultur e.V. in Zusammenarbeit mit der Academia Baltica e.V., Lübeck
Die jüdische Geschichte der ehemaligen deutschen Ostprovinzen und die Lebensleistungen ihrer früheren jüdischen Bewohner sind heute nur in wenigen Punkten bekannt. Keine Forschungsstruktur widmet sich ausdrücklich diesen Aspekten.
Die Erinnerung an die Juden in Schlesien, Ost- und Westpreußen – sowohl in den grossen Gemeinden, wie auch an kleinen Orten – und an ihre Unterdrückung und Vernichtung durch das NS-Regime war in Deutschland während des Kalten Kriegs nahezu abgebrochen. An die deutschjüdische Geschichte und die Repressionspolitik des NS-Regimes zu erinnern, erschien damals nicht opportun. In Polen, Litauen und dem Kaliningrader Gebiet wurde die jüdische Geschichte der ehemals deutschen Provinzen dagegen als Teil der deutschen Tradition gesehen. Das erklärt, warum die Nachfahren der jüdischen Einwohnerschaft Schlesiens, Ost- und Westpreußens, die heute verstreut über die ganze Erde leben, auf der Suche nach den Spuren ihrer Vorfahren nur wenig neue Literatur zu diesem Thema finden können.
Mit Zeitzeugen und Wissenschaftlern aus Kaliningrad, Polen, Israel und Deutschland wollen wir Aspekte der jüdischen Lebenswelten in Schlesien, Westpreußen, Masuren, Preußisch Litauen und Königsberg erörtern – von der jüdischen Einwanderung über die Alltagskultur und das Gemeindeleben bis zum Holocaust. Die Tagungssprachen waren Deutsch und Englisch.
Das Seminar bestand aus zwei Teilen: Am ersten Tag standen Fragen nach der Geschichte der jüdischen Minderheit im 19. und 20. Jahrhundert in Schlesien, Ost- und Westpreußen im Mittelpunkt. Sowohl sozial, lokal-, gemeinde- wie auch familiengeschicht-liche Darstellungen können dazu beitragen, Lücken in der Historiographie zu schließen. Darüber hinaus gab es ein Panel zur rekonstruierten Geschichte, in dem jüdische Zeitzeugen der zweiten bzw. dritten Generation über ihre Forschungen zu den Lebenswelten ihrer Eltern und Großeltern berichteten. Am zweiten Tag wurde gemeinsam mit Teilnehmern aus Polen und Kaliningrad erörtert, welche Ansätze und Möglichkeiten existieren, die Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Bewohner zu dokumentieren und zu bewahren.
Dr. Christian Pletzing
Akademieleiter der Academia Baltica
Dr. Ruth Leiserowitz
Juden in Ostpreußen e.V.
Programm
Freitag, 31. August 2007
- Begrüßung und Einführung
Dr. Ruth Leiserowitz, Berlin;
Dr. Christian Pletzing, Lübeck - „Das ‚Mendelssohn-Haus‘ in Allenstein“ ein vergessener
Ort der Erinnerung“
Dr. Rafal Zytyniec, Berlin - „Juden in und um Memel/Klaipeda“
Dr. Ruth Leiserowitz, Berlin
Samstag, 1. September 2007
- „Die Brombergerin Ruth Goldbarth im Warschauer Getto, 1940/41“
Dr. Klaus-Peter Friedrich, Marburg - „Jüdische Unternehmer in Breslau und Schlesien nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Holocaust (1918-1941)“
Dr. Ingo Loose, Berlin - „Social Divisions in the German Jewish Community in Breslau in the First Decades of the Twentieth Century“
Joanna Tegnerowicz, Wroclaw - „Das Jüdische Museum Breslau als zentraler Erinnerungsort der schlesischen Juden zwischen 1928 und 1938”
Dr. Jens Hoppe, Frankfurt a.M. - „Wo bitte geht es zur Synagoge? Das vergessene jüdische Erbe Breslaus und dessen langsame Wiederentdeckung im postkommunistischen Wroclaw“
Maren Röger, Gießen - „Juden in Gleiwitz“ (Ein Projekt des Gleiwitzer Museums)
Bozena Kubit, Gliwice/Gleiwitz - Präsentationen von jüdischen Familienforschern, Teil 1 „From Westprussia to Suwalki (Arbeitstitel) Ralph Salinger, Kfar Ruppin
- Präsentationen von jüdischen Familienforschern, Teil 2 „The Wasbutzky Family in and around Tilsit“. Ein Gespräch zwischen Evelyn Waldstein, Ramat HaSharon und Ruth Leiserowitz
- Präsentationen von jüdischen Familienforschern, Teil 3 „Film about the Perlman family (Königsberg) Perry Izack, Rishon Le Zion „Ruth Goldbarth from Bydgoszcz/Bromberg in the Warsaw Ghetto 1940/41“ by Dr. Klaus-Peter Friedrich, Marburg
- „Jewish Traders in Breslau and Silesia, from the First World War to the Holocaust (1918-1941)“ by Dr. Ingo Loose, Berlin
- „Social Divisions in the German Jewish Community in Breslau in the First Decades of the Twentieth Century“ by Joanna Tegnerowicz, Wroclaw
- „The Jewish Museum of Breslau as Central Place of Commemoration of the Silesian Jews Between 1928 and 1938” by Dr. Jens Hoppe, Frankfurt a.M.
- „Which is the Way to the Synagogue, Please? The Forgotten Jewish Heritage of Breslau and Its Slow-Going Rediscovery in the Afterwar Wroclaw“ by Maren Röger, Gießen
- „Jews in Gleiwitz“ (a projekt of the Museum of Gleiwitz) by Bo¿ena Kubit, Gliwice/Gleiwitz
- Presentations by Jewish Genealogists, part 1 „From Westprussia to Suwalki (working title) Ralph Salinger, Kfar Ruppin
- Presentations by Jewish Genealogists, part 2 „The Wasbutzky Family in and around Tilsit“. A talk between Evelyn Waldstein, Ramat HaSharon and Ruth Leiserowitz
- Presentations by Jewish Genealogists, part 3 „Film about the Perlman family (Königsberg) Perry Izack, Rishon Le Zion
Sonntag, 2. September 2007
- „Das Leben der Else Pintus“ (AT).
Miloslawa Borzyszkowska-Szewczyk, Gdañsk/Danzig - „Die Sprache der Steine lesen. Juden in der Kaschubei.“
Bericht aus einem Projekt
Dr. Christian Pletzing, Lübeck - „Juden in Tilsit/Sovetsk“ (Die Sammlungen von Isaak Rutman)
Sinaida Maksimova, Sovetsk/Tilsit - Schlußdiskussion, Mittagessen, Abreise
Das Seminar fand statt in der Europäischen Akademie in Berlin Grunewald, Bismarckallee 46/48 (www.eab-berlin.de)